Jungbrunnen fürs Immunsystem

Forschende haben das Immunsystem von alten Mäusen verjüngt, indem sie den Anteil myeloider Stammzellen per Antikörpertherapie reduzierten. Die Tiere kamen anschließend wieder besser mit Infekten klar. Der Ansatz könnte auch zur Krebstherapie und -prävention taugen.

von Thomas Müller
09.05.2024

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© Foto: Artur - stock.adobe.com
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Das Wichtigste in Kürze

Frage: Wie lässt sich das Immunsystem verjüngen?

Antwort: Eine Antikörpertherapie gegen die Oberflächenproteine CD150, CD62p und NEO1 kann die im Alter dominierenden rein myeloiden hämatopoetischen Stammzellen zurückdrängen. Das adaptive Immunsystem wird dadurch wieder gestärkt.

Bedeutung: Eine Therapie gegen rein myeloide Stammzellen könnte die Pathogen- und Tumorabwehr im Alter stärken und die Wirksamkeit von Krebsimmuntherapien verbessern.

Einschränkung: Bisher nur Tierexperimente.

Krebs entsteht auch durch ein im Alter nachlässiger arbeitendes Immunsystem. Würde es gelingen, das Immunsystem wieder zu verjüngen, könnten es Krebszellen wohl erheblich besser aufspüren und bekämpfen. Forschenden um Dr. Jason Ross vom Institut für Stammzellbiologie und Regenerative Medizin an der Universität Stanford ist offensichtlich genau das im Tierversuch gelungen: Mit speziellen Antikörpern gegen myeloide Stammzellen konnten sie das im Alter dominierende angeborene Immunsystem zurückdrängen – zugunsten des adaptiven Immunsystems mit einer vermehrten Produktion von B- und T-Lymphozyten. In ersten Experimenten kamen solche Tiere wieder besser mit Virusinfektionen zurecht, zudem wiesen Biomarker auf ein deutlich jüngeres Immunsystem.

Expansion rein myeloider Stammzellen

Ein Problem im Alter, so Ross und Mitarbeitende, sei die zunehmende Expansion von Stammzellen, die kaum noch lymphoide Zelllinien produzierten, sondern fast ausschließlich myeloide für das angeborene Immunsystem. Bei jungen Menschen dominierten hingegen hämatopoetische Stammzellen, die für ein ausbalanciertes Verhältnis lymphoider und myeloider Zellen sorgten. Der Shift zu einem höheren Anteil von myeloiden Zellen markiere einerseits die höhere Entzündungsneigung im Alter, andererseits Schwächen bei der Immunabwehr: Ein solches Immunsystem komme etwa mit viralen Infekten weniger gut zurecht und produziere vermehrt myeloproliferative Tumoren. Würde es nun gelingen, die aberranten rein myeloiden Stammzellen zu eliminieren, sollten Stammzellen, die für ein ausgeglichenes Verhältnis lymphoider und myeloider Zelllinien sorgen, wieder die Oberhand gewinnen. Dies könnte einerseits das Risiko für chronisch entzündliche Erkrankungen und bestimmte hämatologische Tumoren reduzieren, anderseits das Immunsystem wieder besser für den Kampf gegen Erreger und Tumoren insgesamt rüsten.

Um aberrante myeloide Blutstammzellen gezielt auszuschalten, schaute das Team um Ross zunächst nach Oberflächenmarkern, die gehäuft auf diesen Zellen auftauchen. Bereits bekannt war eine erhöhte Präsenz von CD150 auf solchen Zellen. Mit einem speziellen Verfahren identifizierten die Forschenden drei weiterer Marker (CD41, CD62p und NEO1), welche von den rein myeloiden Stammzellen, nicht aber den übrigen, in hohem Maße produziert wurden. Die Forschenden konzentrierten sich schließlich auf CD150, CD62p und NEO1, weil diese Proteine zum einen am stärksten von den aberranten Stammzellen exprimiert wurden, zum anderen nicht auf anderen Zellen in relevanten Mengen auftauchten. Gegen diese drei Marker entwickelten sie monoklonale Antikörper. Jeder der Antikörper war in der Lage, die aberranten Zellen bei Mäusen erheblich zu dezimieren, vor allem dann, wenn sie mit Antikörpern gegen CD47 und KIT kombiniert wurden. CD47 und KIT behindern die Stammzelldepletion, werden diese Proteine ausgeschaltet, verstärkt dies die Wirksamkeit der Behandlung. Letztlich hatten Ross und Mitarbeitende also drei unterschiedliche, aber ähnlich wirksame stammzelldepletierende Therapien erzeugt.

Impfung wirkt im Alter plötzlich wieder

Anhand von Genexpressionsprofilen konnten sie zeigen, dass Mäuse nach einer Behandlung mit einer dieser Therapien nicht nur über weniger myeloide Stammzellen verfügen, sondern dass die verbliebenen Stammzellen auch vermehrt Gene exprimieren, die für ein jüngeres Immunsystem typisch sind. Zudem wurden ab etwa einer Woche nach der Antikörper-Konditionierung auch vermehrt lymphoide und weniger myeloide Progenitorzellen nachgewiesen. Mit einer Therapie gegen CD62p und NEO1 nahm das Verhältnis von lymphoiden zu myeloiden Progenitorzellen jeweils um das Vierfache zu. Solche Veränderungen waren noch zwei Monate nach einer einmaligen Behandlung stabil nachweisbar. Zu diesem Zeitpunkt zeigte sich dann auch eine Zunahme der Zahl naiver T-Zellen sowie reifer B-Zellen mit einem Phänotyp, wie er für jüngere Tiere typisch ist. Zugleich sank die Konzentration einiger typischer proinflammatorischer Marker im Blut.

Entscheidend ist natürlich, ob solche Veränderungen klinisch relevant sind. Das prüften die Forschenden mit dem Friend-Retrovirus: Es ruft bei älteren Mäusen eine Splenomegalie mit einer Verzehnfachung des Milzgewichts hervor, bei jüngeren hingegen verläuft die Erkrankung wesentlich glimpflicher. Wurden alte und junge Tiere gegen das Virus geimpft und anschließend infiziert, so ließ sich die Splenomegalie der jüngeren komplett verhindern, nicht aber der älteren: Hier prägte sie sich nur geringfügig schwächer aus als bei ungeimpften Nagern. Ältere Mäuse nach NEO1-Stammzelldepletion wurden durch die Impfung hingegen ähnlich gut geschützt wie jüngere Mäuse und entwickelten eine ausgeprägte virusspezifische Antwort mit CD8-positiven T-Zellen.

Schließlich analysierte das Team um Ross auch Stammzellen von älteren und jüngeren Menschen. Die Forscher stellten im Alter einen ähnlichen Shift zu rein myeloiden Stammzellen mit aberranten und teilweise prämalignen Eigenschaften fest, wobei auch hier CD150, CD62p und NEO1 die rein myeloiden Stammzellen gut charakterisierten. Sie vermuten daher, dass Antikörpertherapien gegen diese Oberflächenproteine auch das menschliche Immunsystem verjüngen.

Evolutionsbiologische Gründe?

Für den Shift zu rein myeloiden Stammzellen im Alter sehen die Forschenden evolutionsbiologische Gründe: Das Immunsystem von Wirbeltieren entwickelte sich in zumeist lokal begrenzten Populationen. Hatte das adaptive Immunsystem in der Jugend einmal alle Pathogene in der jeweiligen Population kennengelernt, war es unwahrscheinlich, dass später noch viele neue hinzukamen. Das adaptive Immunsystem konnte mit zunehmendem Alter folglich heruntergefahren werden. In der heutigen Zeit mit globaler Vernetzung und regelmäßigen Pandemien ergibt sich daraus jedoch ein Nachteil. Dies, so Ross und Mitarbeitende, habe uns die jüngste Pandemie mit den vielen Opfern unter der älteren Bevölkerung deutlich vor Augen geführt.

Die Verjüngung des Immunsystems könne etwa für Menschen mit Vorstufen myeloider Tumoren interessant sein, ebenso ließe sich damit vielleicht die Wirksamkeit von B- und T-Zell-basierten Krebsimmuntherapien verbessern. Letztlich werde vielleicht sogar die Widerstandsfähigkeit gegen Infekte, altersbedingte chronische Erkrankungen und Krebs zugleich gesteigert. Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass ein verjüngtes Immunsystem Alterungsprozesse insgesamt bremst, indem es alternde Zellen besser erkennt und abbaut.

Vor einer Verwendung bei Menschen muss aber erst die Sicherheit solcher Verfahren gründlich überprüft werden, und das dürfte noch etliche Jahre dauern.

Quelle: SpringerMedizin.de

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